aus „Pokern vor Ort“
Geschichten die das Orchester schrieb von Helga Warner-Buhlmann und Heiner Buhlmann
Bus geklaut
Das für unseren Aufenthalt in Porto (Konzertreise 2001, Porto war in diesem Jahr europäische Kulturhauptstadt) gebuchte einfache aber günstige Hotel stand plötzlich nicht mehr zur Verfügung. Stattdessen erfolgte die Unterbringung des Orchesters zum gleichen Preis in einem wunderschönen 5-Sterne-Hotel. Es stimmte alles: die Zimmer, das Frühstück und der übrige Service. Das Orchester fühlte sich so richtig wohl. Nicht aber ahnen konnten wir, dass in diesem Hotel auch die Bläser der Wiener Philharmoniker untergebracht waren.
Und so nahm das Drama seinen Lauf.
In unserem Konzert in der Kathedrale Lapa sollten die Sinfonie Nr. 4 von Tschaikowsky und das Konzert für Orgel und Streicher von Poulenc gespielt werden. Solist dieses Konzertes war einprofessioneller italienischer Organist. Ein nicht unbedingt leichtes Unterfangen, da nur hier vor Ort gemeinsam mit dem Organisten eine dreistündige Probe angesetzt wurde. In dieser Zeit musste das äußerst komplizierte Werk erarbeitet werden.
Zu dieser Probe sollten die Streicher vom Hotel mit einem Bus abgeholt und zur Kathedrale gebracht werden. Helga fuhr unterdessen mit den Bläsern in öffentlichen Verkehrsmitteln zum Strand. Natürlich klappte es bei ihnen ohne jegliche Probleme.
Auch bei den Streichern und mir schien zunächst alles in Ordnung zu sein. Pünktlich um zehn Uhr standen wir vor dem Hotel, und pünktlich kam auch der Bus. Es störte mich nur geringfügig, dass er etwas klein war. Irgendwie aber passten alle hinein, und ab ging es zur Kathedrale.
Erste seltsame Gedanken kamen bei mir auf, als der Bus nach kurzer Fahrt zwei weitere Personen aufnahm. Ein Gespräch war leider nicht möglich, da diese beiden Damen nur portugiesisch sprachen. In Erwartung der bevorstehenden, bestimmt nicht einfachen Probe aber war mir das zu diesem Zeitpunkt eigentlich ziemlich egal. Unruhig aber wurde ich, als wir einige Minuten später erneut hielten, und ein Herr in den ohnehin übervollen Bus zustieg.
Dieser Herr suchte unbedingt das Gespräch mit mir. Auch er sprach weder englisch noch deutsch sondern nur portugiesisch. Das Einzige, was ich verstehen konnte, war immer wieder seine fragende Aussage „Wiener Philharmoniker?“.
Was meinte er nur? Natürlich kennen und schätzen wir die Philharmoniker – aber was bitteschön haben wir mit denen zu tun. Auch die Busfahrt schien einen vollkommen anderen Weg zur Kathedrale zu nehmen als die Richtung, die ich mir in etwa vorstellte.
Mit Händen und Füßen und der tatkräftigen Unterstützung einiger Orchestermitglieder machten wir nun diesem Herrn verständlich, wer wir sind. Nicht die Wiener Philharmoniker sondern das Jugendsinfonieorchester aus Bremen, und wir wollten zur Kathedrale Lapa fahren, um dort das Orgelkonzert von Poulenc zu proben.
Er verstand und reagierte entsetzt. Ohne weiteren Kommentar drehte der Bus und fuhr zurück zum Hotel. Und dort standen die Bläser der Wiener Philharmoniker und warteten vermutlich seit geraumer Zeit mit wenig begeisterten Mienen auf ihren geklauten Bus.
Erst nach einem Telefongespräch mit dem Veranstalter stellte sich heraus, dass der Organist verspätet in Porto gelandet war, und demzufolge die Probe erst später stattfinden konnte. Leider hatte er mich nicht mehr erreicht, um mich über die verspätete Proben- und Abfahrtzeit zu informieren.